Lese- und Rechtschreibstörung/Legasthenie
DefinitionMögliche Ursachen
Woran können Sie Lese - / Rechtschreibstörungen erkennen?
Therapie
Definition
Es gab im Verlauf der Jahre zahlreiche Definitionen bezüglich der Lese- und Rechtschreibstörung ( LRS/Legasthenie, Rechtschreibschwäche, Leseschwäche/Dyslexie). Bereits 1877 wurde man auf das Phänomen der "angeborenen Wortblindheit" beim Lesen aufmerksam. 1916 wurde der Begriff der "Legasthenie" geprägt. 1978 einigte man sich darauf, zukünftig von "Kindern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben (LRS)" zu sprechen.LRS ist bei mindestens durchschnittlicher Intelligenz eine Teilleistungsschwäche, die bei den betroffenen Kindern unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Legasthenie (LRS, Rechtschreibschwäche, Leseschwäche) bietet kein einheitliches Erscheinungsbild. Häufig haben diese Kinder nicht nur eine Lese- und Rechtschreibschwäche sondern zeigen auch in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen deutliche Schwächen.
Man geht davon aus, dass ca. 4-7% der ABC-Schützen eine Lese- und Rechtschreibstörung haben. Vor allem Kinder in englischsprachigen Ländern weisen eine erhebliche Häufigkeit dieses Phänomens auf.Die Ursachen der Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS)
Die Ursachen der Lese- und Rechtschreibschwäche sind multifaktoriell. Im Verlauf der Historie wurden viele Erklärungsmodelle entwickelt. Hier ein paar Beispiele:- LRS angeboren oder eine erworbene Schwäche: Diese Modell besagt, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten - Studien zeigten, dass, wenn der Vater betroffen ist, das Risiko für Jungen bei 40% liegt, dass sich legasthenische Auffälligkeiten bemerkbar machten und bei Betroffenheit der Mutter bei 35%. Für Mädchen scheint es nicht relevant zu sein, welches der beiden Elternteile betroffen ist, für sie liegt das Risiko bei 18%. Zwillingsstudien zeigten, dass LRS bei eineiigen Zwillingspaaren öfter übereinstimmend auftrat als bei zweieiigen.
- MCD (minimale zerebrale Dysfunktion): Verantwortlich für eine Lese- und Rechtschreibschwäche wären demnach Infektionskrankheiten oder Suchtverhalten der Mutter während der Schwangerschaft, Schädigungen, die zu Frühgeburten führen können, Quetschungen des Kopfes oder Verlängerung des Geburtsvorganges wegen Lageanomalie, Sauerstoffmangel des Gehirns, infektiöse oder fieberhafte Erkrankungen in den ersten beiden Lebensjahren. Daraus können Störungen der Grundfunktionen resultieren, die u. a. das Gedächtnis, Wahrnehmung und Motorik beeinflussen können. Fehlerhafte Sprechmotorik kann zu Sprachstörungen und eventuell zu einer Legasthenie führen.
- Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen: Je stärker die einzelnen Wahrnehmungszentren untereinander verknüpft sind, desto leichter fällt es, das Erlernte zu speichern. Aus verschiedenen Gründen können eins oder mehrere Systeme gestört sein. Da alle Systeme zusammenhängen besteht die Möglichkeit, dass sich infolgedessen ein anderes Wahrnehmungssystem nicht richtig entwickeln kann. Das "visuelle System" ist wichtig für das Lesen und Schreiben. Wenn wir lesen tastet unser Auge die Buchstaben von links nach rechts ab (sogenannte Blicksprünge). Kinder mit LRS können nur bedingt einen Punkt in Ruhe fixieren, häufig ist der "Blicksprung" zu kurz oder springt zum Wortanfang zurück, dadurch entstehen Verlesungen. Beim "auditiven System" kann es bei Störungen zu verminderten Höreindrücken kommen, die sich negativ auf die Sprachverarbeitung auswirken. Bei fehlender Identifizierung eines Lautes kann auch keine genaue Reihenfolge von schnell aufeinanderfolgenden Lauten ausgemacht werden, man spricht von einem mangelnden phonologischen Bewusstsein, häufig werden ähnlich klingende Laute verwechselt (g/k, usw.).
- Sprachstörungen, z.B. Stottern
In diesem Fall sind sie Symptome und Ursache zugleich - ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, früher MCD)
Darunter versteht man u.a. Impulsivität (mangelnde Verhaltenskontrolle), Ablenkbarkeit,
Unruhe und innere Getriebenheit. - Händigkeit: Links- oder Beidhändigkeit ist angeboren. Manchmal haben diese Kinder eine andere Lokalisation der Sprachfunktion, d.h. das Sprachzentrum liegt nicht in der linken sondern in der rechten Gehirnhälfte. Dennoch haben neueste Untersuchungen ergeben, dass bei vielen Linkshändern das Sprachzentrum genau wie bei Rechtshändern ebenfalls in der linken Gehirnhälfte liegt. Das Auge folgt im Normalfall der bevorzugten Hand, d.h. das Lesen wird durch die favorisierte Hand trainiert, Aktivitäten finden bevorzugt auf dieser Seite statt, dadurch geht der Blick häufiger in diese Richtung. Bei Rechtshändern gibt es kaum Probleme, da unsere Schrift rechtsläufig ist. Bei Kindern mit einer abweichenden Händigkeit kann es zu Schwierigkeiten kommen, die damit zusammenhängen, dass intuitiv von rechts nach links gelesen wird und die Kinder spiegelverkehrt lesen (d statt b ). Auch beim Schreiben kann es zu Problemen kommen, z.B. durch eine sogenannte "Umschulung" von rechts nach links, das Kind wird dadurch gezwungen mit seiner nicht dominanten Hand und "gegen den Strich" schreiben zu müssen. Häufig verursacht eine falsche Stifthaltung Schreibfehler, durch die sogenannte "Hakenhaltung" verdeckt bzw. verwischt das Kind mit seiner Schreibhand das Wort, die verkrampfte Handhaltung wirkt sich negativ auf das Schreibtempo aus, das Kind kann dem Diktiertempo (z.B. bei Diktaten) nicht folgen.
- Erworbene LRS: Früher ging man davon aus, dass eine Legasthenie im Zusammenhang mit sozialen Problemen auftreten würde und milieubedingt wäre (seelische Belastung, schlechte Wohnverhältnisse, niedriges Bildungsniveau etc.), das würde bedeuten, dass eine Lese- und Rechtschreibschwäche nur in den Unterschichten auftreten dürfte, was aber nicht der Fall ist.
Erziehungsschwierigkeiten, Vernachlässigung durch die Eltern, Familienkrisen und andere emotionale Belastungen können den Verlauf der Störung beeinflussen.
Laute und zu große Klassen, Lernstörungen und daraus resultierende Probleme werden von Lehrern nicht immer entsprechend berücksichtigt. Das Kind hat Angst vor einem bestimmten Lehrer, daraus resultiert oft ein Leistungsversagen bei Klassenarbeiten, das Selbstwertgefühl leidet.
Woran können Sie Lese - Rechtschreibstörungen (LRS, Dyslexie) erkennen?
Lese- und rechtschreibeschwache Schüler machen nicht besonders typische Fehler, sondern alle Arten von Fehlern, die auch bei anderen Kindern anzutreffen sind, allerdings treten bei ihnen solche Fehler häufiger auf und es dauert länger, bis sie überwunden sind. Visuelle u. sprachliche Informationsverarbeitung gehen beim Lesen Hand in Hand, Kinder mit Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens haben z.T. bereits Probleme, dem jeweiligen Laut den entsprechenden Buchstaben zuzuordnen. Eine weitere Schwierigkeit besteht für manche Kinder in der Synthese der einzelnen Laute zu einem Wortklangbild. Amerikanische Untersuchungen zeigten, dass die Fähigkeit zur Lautanalyse das entscheidende Merkmal war, das die lese- und rechtschreibschwachen Kinder von den anderen unterscheidet. Sie verfügen über ein geringes Vermögen, Phoneme (Laute) in Wörtern zu erkennen. Es ist erwiesen, dass viele Legastheniker sowohl Schwächen der Verarbeitungsfunktion in den visuellen als auch in den akustischen Systemen aufweisen, wahrscheinlich sogar häufiger bei der akustischen Verarbeitung.In der 1.u. 2. Klasse ist die Problematik der Kinder noch nicht so auffällig, weil sie aufgrund ihrer Intelligenz Wörter visuell auswendig lernen. Eine Frühdiagnostik- und Förderung sollte bereits im Vorschulalter stattfinden, leider werden die Symptome oft zu spät erkannt. Der Ausprägungsgrad der Störung ist bei jedem Kind anders und individuell verschieden.
Folgende Beeinträchtigungen und Anzeichen können auf eine Legasthenie (LRS, Lese- und Rechtschreibschwäche) hindeuten:
Im Kleinkindalter:- verzögerte Sprachentwicklung, Sprachfehler, Stottern
- verspätete motorische Entwicklung - Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen (klettert nicht gerne, Angst Treppen hinunterzugehen), Tollpatschigkeit, fällt häufig hin, hat Schwierigkeiten, Flüssigkeit in ein Glas einzuschenken (Auge-Hand-Koordination gestört), verwechselt links mit rechts
- Feinmotorik ungenügend ausgeprägt (Perlen aufreihen und einfädeln, Stift halten, beim Abmalen werden über die Ränder gemalt)
- Konzentrationsschwäche (wechselt ständig das Spielzeug, bringt nichts zu Ende, zeigt wenig Ausdauer)
- Niedrige Frustrationstoleranz (wird schnell wütend, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, kann nicht verlieren, gibt schnell auf)
- Bei neuen Situationen überfordert
Im Schulalter:
Auffälligkeiten im Arbeitsverhalten:- Die Kinder haben Probleme beim Abschreiben, machen dabei viele Fehler
- Das Arbeitstempo ist in allen Bereichen verlangsamt, z.B. beim Lesen, (Ab-)Schreiben, Auswendiglernen
Speicherfehler:
- Bekannte Wörter bzw. Wortteile werden immer wieder falsch geschrieben
Orientierungsfehler:
- Verwechslung von "d-b"; "q-p"; "S-Z"; "W-M"; "b-p"; "T-L"; die Kinder können die Lageveränderung nicht erkennen
Optische Differenzierungsprobleme:
- Formähnliche Buchstaben werden oft verwechselt und nicht deutlich artikuliert, z.B.
"ck-ch"; "m-n", "a-e"; bei Zahlen "1-7"; 5-3"; 6-9"; 39-93"
Akustische Differenzierungsprobleme:
- Ähnlich klingende Laute werden nicht differenziert wahrgenommen, z.B. "d-t"; b-p"; "g-k"; s-z"; ö-ü"
Durchgliederungsfehler:
- Auslassen, Hinzufügen oder Umstellen von Buchstaben/Lauten in einem Wort beim Lesen und Schreiben
- Der Lesetext kann sinngemäß nicht wiedergegeben werden
Fehler der Groß- und Kleinschreibung
Beeinträchtig der Graphomotorik
- Schrift krakelig bis unleserlich
- Die Groß- und Kleinschreibung der Buchstaben in der Schreibschrift werden nicht ausreichend beherrscht
Folgende Beeinträchtigungen und Störungen können bei einer Leseschwäche auftreten:
- Lesefluss: liest rasch, hektisch, unregelmäßig, langsam-bedächtig-ängstlich, vereinzelte/häufige Stockungen
- Lesegliederung: liest buchstabenweise, wortweise, nicht sinnschrittgliedernd, beachtet Satzzeichen nicht
- Lesemelodie: liest monoton, zu laut oder zu leise, keine Tempovariation
- Lässt häufig Buchstaben am Anfang, in der Mitte oder am Ende weg oder überliest ganze Wortteile, bzw. Wörter
- Verwechselt ähnlich aussehende Buchstaben, z.B. "d-b, m-n, w-m, p-q"
- Häufige Wortwiederholungen
- Das Lesen wird zur Raterei
- Fehlende Sinnschrittgliederung im Satz
- Wortruinen, bzw. das Gelesene ergibt keinen Sinn
- Verrutscht häufig in der Zeile
- Mangelnde Lesekompetenz - Textinhalte werden nicht oder nur teilweise erfasst
- Leseunlust
- Ermüdet schnell bei längeren Texten und kleiner Schrift
- Vermeidet lautes Vorlesen
Allgemeine Auffälligkeiten bei einer Teilleistungsstörung:
Auffälligkeiten im Lern- und Leistungsbereich:
- Aufgrund von Misserfolgserlebnissen reagiert das Kind mit Abwehrverhalten und Demotivation
Auffälligkeiten im Aufmerksamkeitsbereich:
- Die Kinder zeigen motorische Unruhe (Zappelphilipp) und sind unkonzentriert
- Können nicht stillsitzen
- Evtl. liegt ADHS/ADS vor
Auffälligkeiten im emotionalen Bereich:
- Angstsymptome, geringes Selbstwertgefühl, mangelndes Selbstvertrauen, Rückzugstendenzen, Aggression, Stimmungslabilität, Schulangst - bis zur Selbstmordgefahr, Prüfungsangst, Angst vor Lehrern
Auffälligkeiten im psychosomatischen Bereich:
- Kopf- und Bauchschmerzen, Erbrechen, Schlafstörungen, Einnässen
Auffälligkeiten im sozialen Bereich:
- Die Kinder sind aggressiv, kontaktgestört, Störverhalten - spielen den Klassenclown
- Unselbständigkeit
Körperwahrnehmung und Motorik sind beeinträchtigt:
- Die Schmerzschwelle ist erhöht
- Fein- und Grobmotorik sind nicht altersgemäß
- Störungen der Raumwahrnehmung, die Kinder stoßen sich oft an, sind "schusselig, tollpatschig"
- Gestörtes Körperschema, mangelnde Eigenwahrnehmung
- Störungen der Auge-Hand-Koordination
- Verkrampfte Schreibhaltung
- Krakeliges Schriftbild
Therapie
Das Therapiekonzept orientiert sich am aktuellen Stand der empirischen Forschung. Im Training werden anerkannte Methoden eingesetzt. Es werden vielfältige Materialien und Hilfsmittel eingesetzt (Bildkarten, Lautgebärden, Lernspiele, computerunterstützes Training, audiovisuelle Geräte usw.)psychomotorische Materialien. Die Förderung sollte bereits in den ersten Klassen der Grundschule beginnen, damit aus Primärsymptomen (z.B. Orientierungsfehler) keine Sekundärsymptome (z.B. psychosomatische Beschwerden) entstehen. Wichtig ist der Aufbau einer positiven Lernmotivation, sie ist der Schlüssel für den weiteren Erfolg des Trainings. Bei Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Problemen wird im Gespräch mit Ihrem Kind eine Lösungsstrategie entwickelt, die ihm hilft, ein neues Selbstwertgefühl zu entwickeln, Ängste abzubauen (wieder an sich zu glauben) und Erfolgserlebnisse zu erfahren. In diesem Zusammenhang ist eine gute Kooperation mit Eltern und Lehrern unerlässlich.Nach eingehender Diagnostik und Anamnese (Vorgeschichte des Kindes und der Familie, die auf eine Teilleistungsstörung hindeuten kann) wird ein individueller Therapieplan entwickelt, der sowohl die Ursachentherapie als auch die Symptomtherapie integriert. Die Ursachentherapie befasst sich mit den unterschiedlichen Wahrnehmungsbereichen, die bei Legasthenikern häufig nicht altersentsprechend ausgebildet sind:
- Wahrnehmungsübungen- mit allen Sinnen lernen (Sehen, Fühlen, Hören, Riechen)
- Visuelles Wahrnehmungstraining nach Frostig
- Konzentrationsübungen - fördert u.a. die Ausdauer beim Lernen
- Gedächtnistraining
- Bewegungstherapie - Förderung der Psychomotorik durch spielerische Elemente
- Graphomotorische Übungen
- Entspannungstraining
- Rechtschreibtraining (Morphemtraining, Schärfung, Dehnung, Ableitungen, Groß- und Kleinschreibung, Wortfamilien, Silben schwingen, Grammatik)
- Aufsatztraining
- Aufbau eines Grundwortschatzes
- Phonologisches Training (Lautdifferenzierung, höre ich "g" oder "k"?)
- Ordnungsschwellentraining
- Blicksteuerungstraining
- Lesesynthese
- Strategisches Lesetraining, Förderung der Lesefertigkeit und -geschwindigkeit
- Lesetraining nach Warnke
- Übungen zur Förderung der Lesekompetenz
- Lern- und Arbeitstechniken
- Lerntypdiagnostik
- Übungen zur Verbesserung des Arbeitstempos
- Spezielle Übungen für Linkshänder mit einer LRS - Problematik
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